Sozialer
Hintergrund des Projektes
„Selbstorganisierte Nachbarschafts- und Wohnprojekte sind eine Keimzelle bürgerschaftlichen Engagements“ (Christa Stewens, Bayerische Staatsministerin, 2005)
Die Großfamilie gehört kaum noch zur Realität des Lebens und Wohnen in der Stadt. Weil aber die Lebens- und Wohnformen in unserer modernen Gesellschaft zunehmend von Mobilität und Individualisierung geprägt sind, geht eine ganze Reihe von wechselseitig unterstützenden Funktionen des traditionellen Familienverbundes verloren – etwa bei der Betreuung von Kindern berufstätiger bzw. alleinerziehender Eltern oder bei der Pflege und Betreuung kranker oder alter Menschen. Gleichzeitig verschwinden solidarische Nachbarschaftsstrukturen.
Gemeinschaftliche
Wohnprojekte bieten eine neue Möglichkeit, diesen Verlusten
entgegenzuwirken. Sie sind ein zeitgemäßes Modell,
auf die Zwänge eines sich verändernden Arbeitsmarktes
und die Auswirkungen des demographischen Wandels zu reagieren.
Sie schaffen neue Strukturen für ein solidarisches
Miteinander. Sie formen von Kooperation und Eigenverantwortung
geprägte Lebensräume und begegnen so den aktuellem
Herausforderungen des Zusammenlebens in der städtischen
Gemeinschaft.
Bedeutung
und Chancen
für die Stadt Bamberg
Gemeinschaftliche
Wohnprojekte haben für eine Kommune enorme Vorteile sozialer
wie volkswirtschaftlicher Art. Die Erfahrungen aus bestehenden
Initiativen dieser Art, wie sie von innovativen Städten seit
einiger Zeit gefördert werden, zeigen: Solche Formen
gemeinschaftlichen Wohnens fördern einerseits
Solidarität und gegenseitige Hilfe und stärken
andererseits die Selbstbestimmung und Selbständigkeit ihrer
Bewohner bis in hohe Alter. Die effektive gemeinsame Organisation von
Pflege im Alter kann für die Bewohner den Zeitpunkt einer
Übersiedlung in ein Pflegeheim deutlich hinauszögern
oder gar überflüssig machen. Kinder können
im vertrauten häuslichen Umfeld betreut werden.
Wohnprojekte dieser Art in der Innenstadt fördern die Identifikation mit der Stadt Bamberg als Lebensraum. Denn die Verlagerung des Wohnraums für junge Familien wie auch ältere Menschen in städtische Randbereich hat sich als Sackgasse erwiesen; sie fördert nur den bedenklichen Wandel der Innenstadt zur Konsum- und Tourismuszone mit Luxuswohnbereichen. Die bewusste Entscheidung des Wohnprojekts für ein verdichtetes urbanes Wohnen dagegen steht im Einklang mit dem Bemühen der Stadt Bamberg, die Innenstadt als Lebensraum für ihre Bewohner zu erhalten.
Unser Wohnmodell reduziert durch gemeinsame Nutzung von Ressourcen die Belastung der Umwelt und bremst den ökologisch gefährlichen Flächenverbrauch des individualisierten Wohnen, wie er sich in der Ausbreitung von uniformen Eigenheimsiedlungen zeigt. Durch ein Carsharing-Konzept reduzieren wir die Flächenverschwendung durch Autostellplätze in der Innenstadt.
Zu den Zielen vonTocklerhof gehört es, konkrete Angebote der Nachbarschaftshilfe für das ganze Quartier zu machen. Im Idealfall entwickelt sich das Haus / die Häusergruppe zu einer Kommunikationszelle, von der aus Hilfsangebote von der Beratung bis zur Hausaufgabenhilfe und Kinderbetreuung ausgehen.
Initiativen wie unsere sollen die Attraktivität der Innenstadt für junge Familien erhöhen. Die Strukturen des Wohnprojekts locken mit Möglichkeiten, die keine städtische Mietwohnanlage bieten kann.
Unser Finanzierungskonzept zielt auf sozial durchmischte Wohnstrukturen. Es wirkt der längst erkennbaren Gefahr entgegen, dass die Innenstadt zum sozial selektierten Luxuswohnraum wird.
Orte
für
Wohnprojekte
Sowohl bestehende Altbauten wie auch Neubauten sind prinzipiell für ein Wohnprojekt unserer Zielrichtung geeignet. Wichtig ist, daß die Lage des Objektes innerstädtisches Wohnen und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben der Stadt erlaubt. Die Bewohner wünschen sich, in allen Lebensaltern ohne viel Hilfe mobil sein zu können und sich mit Kinderwagen, Rollator oder Rollstuhl zum Grünen Markt bewegen zu können.
Unser Haus
besitzt auf ca. 1000 qm Wohnfläche 11 Wohnungen verschiedener
Größe. Die
Mehrzahl der Wohnungen ist barrierefrei, ebenerdig oder mit Fahrstuhl
zu erreichen. Bereiche wie Hof, Garten, Foyer als
Gemeinschaftsraum und Werkstatt
fördern als Begegnungsräume das
gemeinschaftliche Leben und die Kommunikation innerhalb des Hauses und
der Nachbarschaft im Wohnquartier. Eine gemeinsame Waschküche
reduziert die Zahl der Haushaltsgeräte, schont Ressourcen und
spart den Bewohnern Platz in den eigenen Wohnungen.
Wer
ist Tocklerhof
?
Die Projektgruppe hat sich im Januar 2007 gegründet. Sie besteht aus Familien, Paaren und Alleinstehenden zwischen Kindergarten- und Rentenalter. Die Mitgleider haben sich im Rahmen des Vereins WEGE Bamberg e.V., Verein für gemeinschaftliches Wohnen kennen gelernt und verfolgen seither mit pragmatischem Sinn ein Ideal von urbanem Wohnen, das mittlerweile in vielen Städten als zukunftsweisend erprobt ist.
Zum Leitbild
unserer Gruppe gehört:
- Einbringen der Vielfalt und
Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten und Begabungen aller
Bewohner und Teilhabe an ihren kreativen, geistigen und
körperlichen Ressourcen
-
Entwicklung einer lebendigen
Nachbarschaft, in der sich Interessen und Möglichkeiten
verschiedener Generationen wechselseitig ergänzen
- Gemeinschaftliche Verwaltung und
Gestaltung des Hauses und der Gemeinschaftseinrichtungen
- Öffnung der
Aktivitäten auch außerhalb des Hauses,
ins Wohnumfeld des Quartiers
Organisationsform und Finanzierung
Die Gruppe hat sich in der Gesellschaftsform einer „UG haftungsbeschränkt und Co. KG“ zusammengeschlossen, die Bauträger für das Projekt ist. Die Mitglieder erwerben Gesellschaftsanteile entsprechend der gewünschten Wohnfläche. Sie üben demokratische Mitbestimmungsrechte über zentrale Fragen der Verwaltung des Objekts aus.
Über die Gesellschaftsanteile hinaus fällt ein regelmäßiger Betrag an, der neben den Kreditzinsen, die an die Bank gezahlt werden müssen, auch alle Unterhaltskosten für das Haus abdeckt, wie Versicherung, Reparaturrücklagen, Aufzug, Müllabfuhr, Abwasser, Grundbesitzabgaben etc. Dabei handelt es sich nicht um Mietzins im herkömmlichen Sinn – die Bewohner sind in dieser Finanzierungsform von den Mietsteigerungen des Immobilienmarktes völlig unabhängig. Im Gegenteil: die finanzielle Belastung der Mitglieder wird - entgegen der Entwicklung am Mietmarkt - im Laufe der Zeit sinken.
Wie
steht die Stadt
Bamberg zu
unserem Projekt?
Wir mußten das Rad nicht neu erfinden: In vielen deutschen
Städten sind vergleichbare gemeinschaftliche Wohnprojekte
längst realisiert worden - und zwar vielerorts mit der
Unterstützung der Kommunen, die die Vorteile solcher
Wohnformen in den Veränderungsprozessen urbanen Lebens erkannt
haben. Die Stadt Bamberg zeigte sich in dieser Hinsicht in der
Anfangszeit des Bestehens unseres Projekts
zunächst eher zurückhaltend, doch war im
Laufe der Jahre ein Bewußtseinswandel zu verzeichnen.
Die
Stadt hat dann 2014 ein Interessensbekundungsverfahren
für zwei
Grundstücke an der
Färbergasse/Tocklergasse ausgeschrieben. Um die
Baurechte konnten sich ausschließlich gemeinschaftliche
Wohnprojekte bewerben.
Kommerzielle Bauträger waren in diesem Ausschreibungsverfahren
nicht zugelassen. Wir betrachten das als einen Erfolg der
Bemühungen
der letzten Jahre - an denen unseren Gruppe einen wesentlichen Anteil
hatte -, in Politik und Verwaltung der Stadt Bamberg neues
Bewußtsein für Nutzen und Notwendigkeit solcher
Projekte zu wecken (s. Grundsatzbeschluß
des Stadtrats zur Unterstützung und Förderung
gemeinschaftlicher Wohnprojekte).
Unser Projekt bekam den Zuschlag für das Grundstück an der
Tocklergasse; die Gesellschaft erwarb das
Grundstück von der
Stadt. Im Frühjahr 2016 konnten die Bauarbeiten beginnen, am 2.
Dezember
2016 wurde das Richtfest gefeiert.